„Fünf Zentimeter, gerade mal. Sie sind schlank“ sagte der Chirurg,“ Ich bemühe mich den Schnitt bei Ihnen nicht allzu groß zu machen. Bei Ihrer Tochter erfolgt der Schnitt so.“ Er zeigte auf seinen Bauch und fuhr mit dem Finger entlang. Dann sprach er von zwei Arterien, Dopplerversorgung nennt man das. Ich fühlte mich gut aufgehoben irgendwie. Fragen hatte ich zum Schluss keine mehr. Was soll`s auch? dachte ich. Als Mama gab es für mich keine andere Wahl. Wochen vergingen im Krankenhaus. Leni war bereits an der Dialyse. Der Schlauch kommt einfach aus ihrem Bauch heraus. Jeden Abend 19 Uhr kam die Schwester und wir lernten Leni an den Cycler anzuschließen. Jeden Abend. Jeden Morgen. An- Ab; An -Ab. Die Geräte und Dialyseflüssigkeiten nahmen einen gefühlt riesigen Raum ein. Die Nächte waren geprägt von Alarmen.

Es ist abends halb zehn. Ich stehe im kleinen Aufenthaltsraum vorm Fenster auf der Transplantationsstation. Kurz zuvor habe ich Caro schluchzend zurückgelassen, die bei Omi und Opi in einem Appartement auf dem Klinikgelände übernachtet. Ich wollte Caro einfach in der Nähe haben. Sie hat fürchterlich geweint bei der Verabschiedung, jetzt habe ich einen riesigen Kloß im Hals. Ich heule mir die Augen aus. Ich habe Angst.

Es ist 10 Uhr morgens. Ich werde in den OP geschoben.
Vor dem OP Saal begrüßt mich ein Pfleger: „Na aufgeregt?“ Ich nicke. „Wäre ja schlimm wenn nicht, Sie sind auch nur ein Mensch.“ Er lacht, scheint gut gelaunt. Ich habe meine Brille nicht auf, keine Kontaktlinsen. Ich nehme nur Umrisse wahr. Es wuselt um mich herum.
Ich werde müde, die Tablette wirkt langsam. Ich bekomme Gespräche mit, irgendwie Hektik. Die OP vor uns dauert länger als geplant, der OP Saal ist noch nicht frei. Ich weiß nicht wie lange ich da liege, der Anästhesist kommt und holt mich ab. „Sorry, für die kleine Verspätung. Allergien, Unverträglichkeiten bekannt ?“
Mir wird ein Zugang gelegt. „Alles wird gut, wir fangen jetzt an.“
Die Maske wird mir aufgelegt. Ab da weiß ich nichts mehr.

Ich wache auf und es beugt sich jemand über mich. Ich werde von einer lieben Stimme angesprochen. „Haben Sie Schmerzen? Wie empfinden Sie es bei einer Skala von 1-10 ?“
„Acht““ sage ich, die rechte Seite schmerzte.
„Ich gebe Ihnen Schmerzmittel.“ Kurze Zeit später, die gleiche Frage. Ich sage Fünf.
„Ich gebe Ihnen nochmal etwas. Sie sollen gar keine verspüren. Sie bekommen was sie brauchen damit es ihnen gut geht. Sonst irgendwelche Einschränkungen?“
„Mir ist schwindlig und ich bin müde.“
„Das ist ok. Das sind die Schmerzmittel. Genießen sie`s!“ Ein Lächeln, das ich vernehme. Ich sehe wieder nur Umrisse. Ich hatte gut geträumt, zumindest glaube ich das.
„Soll ich mal nach Ihrer Tochter schauen?“
„Ja, bitte.“ Eine Minute später: „Sie ist noch im OP, machen sie sich keine Sorgen, Schmerzen?“
„Zwei“ sage ich.
„OK. Dann können sie auf Station. Alles Gute für Sie!“

Ich bin noch nicht lange auf Station, da steht plötzlich der Chirurg vor meinem Bett.
Oh Gott! Denke ich. Sie hier? Jetzt schon? Das kann nicht sein. Sie müssten meine Tochter operieren? Ich war verdutzt. Bevor ich meine Verwirrung in meinem Kopf ordnen konnte, sagte er mir, dass alles prima verlief. Die Niere hat sofort gearbeitet. Ich konnte meine Erleichterung gar nicht so schnell begreifen.

Leni gings gut? Mir auch? Wir hatten es beide überstanden? Einfach so. Meine Niere arbeitet….
In ihr? Verrückt. Ich bin immer noch verwirrt. Wie spät ist es eigentlich? Ich schaute nicht auf die Uhr. Ich schaute auf meinen Bauch. Sie war wirklich klein, die Narbe. Ein bisschen Grind oben und unten. Kleine Strips darüber, schön parallel angeordnet.

Ich begriff sehr langsam, dass es vorbei war. Die OP, gelungen, ein Organ verpflanzt.
Ich hoffte Leni wurde gut versorgt, und mein Mann? Wie ging es ihm ? Und Caro?
Kurze Zeit später waren sie da. Ich konnte sie drücken, Erleichterung bei allen. Caro erzählte vom Spielplatz und von ihrem Tag.

8 Wochen später

Es ist früh am Morgen.
Ich ziehe Handschuhe an, nehme die Fertigspritzen und bereite die Immunsuppressiva vor. Leni bekommt sie oral verabreicht. Bisher nimmt sie die Medikamente ohne Probleme.
Es klingelt. Der Fahrdienst steht vor der Tür. Leni fährt in die Schule.

Momentan müssen wir einmal pro Woche in die Nierenambulanz. 140 km hin und dann wieder zurück. Ihre Blutwerte sind super. Ihre Narben gut verheilt. Alles Bestens könnte man sagen.
Aber die Angst, sie ist da. Infekte, Abstoßungsreaktionen. Leni ist jetzt nicht nur schwerbehindert sondern auch transplantiert. Ich sehe ihre Narben jeden Tag. Ich habe die Bilder von der Dialyse in meinem Kopf, den Geruch vom Krankenhaus. Ich weiß was es bedeutet, wenn die Niere nicht mehr kann. Der Schlauch, den Leni nicht mochte und auch nicht verstand, als er aus ihrem Bauch kam und drückte.

Ich bin heilfroh, dass wir die Hoffnung haben dürfen. Für Jahre können wir die Daumen drücken, dass wir die Dialyse umgehen können. Vielleicht hält die Niere 15 oder 20 Jahre, vielleicht noch länger. Wie großartig wäre das.

Was bleibt ist die Hoffnung, die Narben, aber auch Erinnerungen und Eindrücke, Begegnungen, Gefühle und Bilder im Kopf. Gedanken über Tod und Leben, es bleibt das Lachen und die Traurigkeit, die Erschöpfung und die Kraft, die Angst und der Mut. Eine Lebendspende ist kein einfacher Schritt. Als ich bei der Ethikkommission gefragt wurde, ob ich mir wirklich über diesen Eingriff bewusst bin, habe ich Nein gesagt.

NTX 18.4.2018