Was bleibt ist eine Narbe

„Fünf Zentimeter, gerade mal. Sie sind schlank“ sagte der Chirurg,“ Ich bemühe mich den Schnitt bei Ihnen nicht allzu groß zu machen. Bei Ihrer Tochter erfolgt der Schnitt so.“ Er zeigte auf seinen Bauch und fuhr mit dem Finger entlang. Dann sprach er von zwei Arterien, Dopplerversorgung nennt man das. Ich fühlte mich gut aufgehoben irgendwie. Fragen hatte ich zum Schluss keine mehr. Was soll`s auch? dachte ich. Als Mama gab es für mich keine andere Wahl. Wochen vergingen im Krankenhaus. Leni war bereits an der Dialyse. Der Schlauch kommt einfach aus ihrem Bauch heraus. Jeden Abend 19 Uhr kam die Schwester und wir lernten Leni an den Cycler anzuschließen. Jeden Abend. Jeden Morgen. An- Ab; An -Ab. Die Geräte und Dialyseflüssigkeiten nahmen einen gefühlt riesigen Raum ein. Die Nächte waren geprägt von Alarmen.

Es ist abends halb zehn. Ich stehe im kleinen Aufenthaltsraum vorm Fenster auf der Transplantationsstation. Kurz zuvor habe ich Caro schluchzend zurückgelassen, die bei Omi und Opi in einem Appartement auf dem Klinikgelände übernachtet. Ich wollte Caro einfach in der Nähe haben. Sie hat fürchterlich geweint bei der Verabschiedung, jetzt habe ich einen riesigen Kloß im Hals. Ich heule mir die Augen aus. Ich habe Angst.

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Es aushalten

Kindergeschrei,
Alarme, hetzende Schwestern,
lautstark diskutierende Eltern nachts um zehn.
Der Monitor:
PIEP! …. schon wieder.

Ich kann nicht schlafen.
Mein Herz pocht,
wartend auf den nächsten Alarmton.
PIEP!

Ich rufe die Schwester.
Sie ruft die Dialyseschwester per Telefon.
Zu niedriges Ablaufvolumen.
Anweisungen,
dann Ruhe.

Leni hampelt im Bett, wird wach.
PIEP!
Der andere Monitor.
Die Sättigung fällt.
Das Kabel ist vom Zeh gerutscht.

Ich bin müde.
Es ist 2 Uhr nachts.
Ein Baby weint im Nachbarzimmer.
Leni wird unruhig.

Ich kann nicht schlafen.
Mein Herz pocht,
wartend auf den nächsten Alarmton.
PIEP!

Ich rufe die Schwester.
Sie ruft die Dialyseschwester per Telefon.
Zu niedriges Ablaufvolumen.
Anweisungen,
dann Ruhe.

Leni hampelt im Bett, wird wach.
PIEP!
Der andere Monitor.
Die Sättigung fällt.
Das Kabel ist vom Zeh gerutscht.

Ich bin immer noch müde.
Es ist 3 Uhr nachts.

Kindergeschrei,
Alarme, hetzende Schwestern,
lautstark diskutierende Eltern früh um sechs.
Der Monitor:
PIEP! …. schon wieder.

Nicole Jacobi

 

Von AmtsWegen – Teil 1

Windeln

 

„Ab dem 3. Lebensjahr bezahlt übrigens die Pflegekasse die Windeln. Frag doch mal nach.“ Ein Tipp von Lenis Therapeutin. Ich fragte also nach. Es stimmte. Die Pflegekasse würde die Kosten übernehmen. Einmal im Quartal sollte ich mir vom Kinderarzt ein Rezept ausstellen lassen. Im Sanitätshaus oder in der Apotheke könnte ich dann die Windeln beziehen. Super, dachte ich.

Ich telefonierte mit einem Sanitätshaus, mit einem Zweiten, mit einem Dritten. Ich wurde immer bleicher. Wieso kann mir denn keiner Kinderwindeln liefern? Die Juniorwindeln, die sie mir hätten bereitstellen können, wären für Leni zum damaligen Zeitpunkt zu groß gewesen. Komisch, dachte ich. Ich rief die Apotheke an. Die Apotheke könnte geeignete Windeln liefern. Kein Problem, hieß es dort. Einen Tag später rief mich die Apotheke an. Ich müsste 50 Euro für ein Quartal zuzahlen. Wieso zuzahlen, die Kasse übernimmt doch? Die Apothekerin klärte mich über die Zahlungen auf. Die Pflegekasse übernimmt 48 Cent pro Windel. Ich schluckte. So viel? „Und dann muss ich noch zuzahlen? Was bitte kosten denn die Windeln bei Ihnen?“ Die Apothekerin klärte mich auf, ich klärte sie über Kosten der Windeln in der Drogerie auf.

Ich rief die Pflegekasse an. Ich versuchte zu erklären, dass ich bisher in der Drogerie meine Windeln gekauft habe und nicht einsehe woanders zum Kauf gezwungen zu werden, um dann noch zuzahlen zu müssen. Die Sachbearbeiterin erklärte, es wäre mir nicht erlaubt in die Drogerie zu gehen, weil ich zwingend eine Beratungsstelle aufsuchen muss, eben ein Sanitätshaus oder eine Apotheke. Ich verstand das nicht. Es ging um Windeln. Wozu bitte eine Beratung?

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Ein Leben in Würde

Sie sehen nicht was man fühlt.
Sie verstehen nicht, wie es uns aufwühlt.
Sie können nicht begreifen, was es mit uns macht.
Sie haben kein Verständnis, wenn man nicht mehr lacht.

Erklärungen laufen ins Leere.
Behinderung erhält so viel Schwere.
Warum müssen wir kämpfen und brauchen Mut dazu?
Warum müssen wir immer erklären ohne Tabu?

Dringlichkeit ist entbehrlich.
Zeit die vergeht, unerklärlich.
Unsere Probleme für andere, bedeutungslos.
Unmenschlichkeit und Bürokratie macht uns einfach sprachlos.
Papierkrieg der niemals endet,
sogar Zeit vor Gericht verschwendet.

Ich will keine Rechtfertigungen mehr.
Ich will Verständnis … so sehr.
Das Gewissen, der Mut, die Kraft, alles schwindet,
die Liebe zu Leni, die alles verbindet.

Kraft verlässt uns dann und wann.
Gerecht fühlt sich anders an.
Wollen wir denn wirklich zu viel?
Oder ist das würdevolle Leben ein menschliches Ziel?
Und wenn ja, heißt das auch zu kämpfen!
Auch wenn andere anders denken.

Wir versuchen für Leni alles zu sein:
ihr Sprachrohr, Pfleger, Eltern, alles in einem.
Menschlichkeit wird zur großen Hürde.
Wir kämpfen weiter für sie und ein Leben in Würde!

Nicole Jacobi

Mir fehlen die Worte

Fast ein Jahr habe ich nichts auf dem Blog geschrieben, aber dennoch gab es vieles was ich hätte schreiben wollen, aber es fehlten die richtigen Worte.

Sommer 2016
„Was haben sie dir denn über Leni erzählt?“ fragte ich das junge Mädchen, 16 Jahre alt, gerade mal einen Kopf größer als Leni. „Sie hat Pflegestufe 3 und sitzt im Rollstuhl.“ Sie war aufgeregt, wie beim ersten Vorstellungsgespräch. Sie war zu jung, fast selbst noch ein Kind. Ich sagte ihr ab. Ein neues Mädchen stellte sich vor. Die Zeit drängte. Nur noch eine Woche bis zum Schulanfang. Leni hatte immer noch keinen geeigneten Schulbegleiter. Letztlich blieb uns keine wirkliche Wahl. 12 Jahre Schule liegen vor Leni. 12 Jahre in denen wir jeden Sommer junge ungelernte Mädchen oder Jungen einladen werden. Und innerhalb einer Stunde beurteilen sollen, ob der/diejenige für Leni geeignet ist.

Herbst 2016
„K. ist schon wieder krank. Wir haben diesmal aber einen tollen Ersatz bekommen, so dass die Nachmittagsbetreuung auch gewährleistet ist.“ Ich verdrehte meine Augen. „Schon wieder“ stöhnte mein Kopf. Krankheitsfälle, Abbruch, keine Motivation. Zwischen den vielen Freiwilligen finden sich vereinzelt engagierte junge Leute, die wirklich Lust haben behinderte Kinder zu betreuen. Vereinzelt…Leider…Und dennoch. Selbst die Wenigen sind nicht ausgebildet ein schwer mehrfachbehindertes Kind zu pflegen und zu betreuen. Die Lehrer sind am Rande ihrer Kräfte. Leni und ich auch.

lenifoto

Leni geht in die zweite Klasse und benötigt einen Schulbegleiter. Integrationshelfer werden sie auch genannt. Bei seelischer Behinderung ist das Jugendamt zuständig. Ist das Kind geistig und körperlich behindert fällt die Zuständigkeit an das Sozialamt. Die Genehmigung für Eingliederungshilfe in Form eines Integrationshelfer haben wir bereits erhalten, wenn auch die Bearbeitungszeit lange dauerte und erst 2 Monate nach Lenis Einschulung eine erste Schulbegleiterin im Auftrag des Bundesfreiwilligendienstes ihren Job antrat. (Übrigens nur für 2 Wochen…Abbruch aus privaten Gründen) Als Integrationshelfer werden hauptsächlich Jugendliche und junge Erwachsene, die ein freiwilliges Soziales Jahr absolvieren, eingestellt.

Wie kann es sein, dass junge unerfahrene Mädchen und Jungen ein schwermehrfachbehindertes Kind betreuen sollen? Die Aufgaben die Freiwillige als Schulbegleitung übernehmen sollen, beschränken sich nicht auf „Händchenhalten“. Pflegetätigkeiten wie Füttern und Wickeln, Unterstützung bei der Verwendung von Hilfsmitteln, wie zum Beispiel Lauftrainer und Stehständer, Unterstützung bei der Kommunikation, Unterstützung im sozialen emotionalen Bereich und auch Schutz vor Selbstgefährdung, all das fällt in den Bereich des Schulbegleiters und bei einem schwer mehrfachbehinderten Kind ist das eine verantwortungsvolle Aufgabe, die mit qualifizierten Kenntnissen verbunden sein muss.
Vielen Freunden und Bekannten denen ich das erzähle, nennen das Betreuen durch FSJ`ler unverantwortlich. Letztlich billig für das Sozialamt.
Unverantwortlich, das denke ich auch.
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Mit Schokoguss drauf und mit Würstchen drin

Caros Geburtstagskuchen-Lego-Kreationen kennen keine Grenzen.
Wenn Fetakäse für Kuh Jolanda auf dem Apfelkuchen für Schaf Wolli gereicht wird, ist alles für sie perfekt. Jeder bekommt eine Gabel, Tassen, Teller,… Salz und Pfeffer stehen auf dem Tisch, …Tee, Kaffee – warm oder kalt… Caro sorgt für alle, ganz emsig.
Kaum fangen wir an, am Geburtstagstisch für Kuh Jolanda zu essen, kommt Leni rutschend auf dem Popser ins Zimmer… kichernd, sie liebt Caros Zimmer. Es scheppert, so schnell habe ich es gar nicht geschafft vom Geburtstagstisch aufzustehen und vom Fußboden Spielsachen aufzuheben, nochmal schepperts. Ein dickes Buch kracht an die Tür. Alles was Leni sich greifen kann fliegt wild durch die Lüfte… Achtung! Deckung!… Flink ist alles aufgehoben und das Legohaus für Schaf Wolli gerettet, bevor es wild durch die Lüfte fliegend in Einzelteilen zerfällt.
Oh je!… Schon saust Caro zu Leni. Wild schimpfend: „Das darfst du nicht! Leni.. Nein!“
Riesentheater! Meine Anspannung wächst enorm. Schreit Leni los, bedeutet das eine Viertelstunde ein schreiendes, mittlerweile auch schweres Kind zu beruhigen, Erklärungsversuche gegen ein absolutes Nicht-Begreifen-Können. Anderes Kind beruhigend, dass sie ja eigentlich Recht hat, aber…. eh….Nun ja…

Eine Viertelstunde später ist alles wieder friedlich.
Ich sitze am Geburtstagstisch von Kuh Jolanda, Wolli im Arm, und dann genieße ich ihn… den Geburtstagskuchen mit Schokoguss drauf und mit Würstchen drin.

Abgelehnt!

Laufen lernen, Sitzen, Stehen.
Ein Hilfsmittel beantragen, Systeme verstehen.
Wirtschaftlichkeit gegen Behinderung,
Ablehnung wegen Kostenminderung.

Beratung, die keine ist.
Höfliche Worte, die man vermisst.
Menschen als Roboter agieren,
Menschen, die nur auf Zahlen stieren.

Sie kann sitzen, steht im Bericht.
Den Therapiestuhl gibt’s deshalb nicht.
Die Akte entscheidet, nicht der Besuch.
Widerspruch – ein neuer Versuch.

Monate… Kampf und Tränen,
Widersprüche, ich kann sie nicht zählen.
Telefonate, Worte beleidigend,
Ich immer die Behinderung verteidigend.

Kräftezehrend, beängstigend…Zeit vergeht.
Auf dem Papier immer dasselbe steht.
„Abgelehnt!“, Begründung völlig daneben.
Was sie nicht sehen, es geht um ein würdevolles Leben.

Die Mauern überwinden, andere Wege gehen.
Ich habe gelernt damit umzugehen.
Das Leben, der Sinn,
das zu begreifen, der größte Gewinn.

Nicole Jacobi

Wie die Zeit vergeht

Nur dieses eine Mal, nur einmal einen kleinen Text schreiben, was so passiert ist, was Leni so macht und Caro und wir und überhaupt…

Caro ist bezaubernd, entzückt, Leni hat jetzt auch ein Fahrrad, ein Rollfiets, gebraucht gekauft. Leni liebt es, Caro auch. Leni planscht im Garten, Caro schüttet eimerweise Wasser über ihre Schwester, tobendes Gelächter bei beiden. Leni ist unglücklich vom Stuhl gefallen, Notaufnahme, irgendwie ging alles gut. Glück gehabt!!! Luft geholt. Ich habe einen neuen Job angefangen, mehr Freizeit, Urlaub geplant. Eine innere Ruhe umgibt mich, ich atme wieder. Caro singt jeden Tag Geburtstagslieder und feiert tanzend die Ehrentage. Ich bin gefühlte 100 Jahre alt. Leni schmeißt ihre Fernbedienung durch die Gegend. Das harte Ding trifft mich am Kopf, Leni lacht. Der Ur-Opa Manfred ist gestorben. Caro ermahnt mich nicht zu weinen, machen Große doch nicht. Ich nehme sie in den Arm und heule noch mehr. Arzttermine abgesessen, Rezepte besorgt, Medikamente, Windeln. Krankenkassenanträgen hinterher telefoniert, das Sanitätshaus bummelt, Sozialamt meldet sich schon wieder nicht. Grillfest Kita, Sommerfest Schule, Kuchen backen, Elternabend. Caro zickt beim Zähneputzen. Leni schreit zu Hause alle Babysitter taub, ich habe Kopfweh.
Es ist Zehn. „Licht aus!“

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