Die Schwangerschaft mit Leni verlief ohne Komplikationen. Alles schien perfekt, unser erstes Kind, wir freuten uns riesig. Leni kam im Januar 2009 in der 38 SSW zur Welt. Die Geburt war alles andere als einfach. 48 Stunden Wehen, Nabelschnurumschlingung, sie wurde mit der Saugglocke geholt und uns sofort weggenommen. Ein paar Minuten später wurde mir mein Baby auf den Bauch gelegt. Aber dieses Würmchen war sehr auffällig klein, nur 1980g. Ich wurde mit Fragen gelöchert: Medikamente in der Schwangerschaft? Krankheiten? Rauchen? Ich war entsetzt. Ich verneinte vehement alles.

Leni wurde erst einmal auf die Intensivstation gebracht. Am nächsten Tag ging es ihr gut, ich würde sie am nächsten Morgen an mein Bett bekommen. Ich freute mich, zu früh, wie sich herausstellte. Leni hatte in der Nacht Apnoen und starke Sättigungsabfälle. Insgesamt waren wir 4 Wochen auf der Intensivstation. Die letzten 2 Wochen konnte ich auf der IMC bei ihr übernachten und sie Tag und Nacht stillen. Sie holte ihr Gewicht gut auf. Während der Zeit auf der Intensivstation wurden einige Tests durchgeführt. Die Atmung war für ein Kind zu ungewöhnlich.

lenikhSie hechelte, sie hörte wieder auf zu atmen, ihre Sauerstoffsättigung fiel ständig. Der Kopf und ihre Organe wurden geschallt, Stoffwechseltests durchgeführt. Die Ärzte fanden keine Erklärung für Lenis ungewöhnliche Atmung.
 Da sich ihre Apnoen nicht besserten, bekamen wir Leni nach 4 Wochen mit einem Heimmonitor mit nach Hause. Damit konnten wir die Atemfrequenz, die Sauerstoffsättigung und den Puls überwachen.

Wir haben eine Einführung in Wiederbelebungsmaßnahmen bekommen. Ich hatte Angst, ich alleine zu Hause mit ihr, während mein Mann tagsüber arbeiten musste. Alleine mit Lenis Sättigungsabfällen und immer mit dem Gedanken sie vielleicht wiederbeleben zu müssen.

Und da war er…der Alltag mit Leni.
Leni war ein sehr ruhiges Baby. Sie hat sehr lange für ihre Stillmahlzeiten gebraucht, ich habe das Kuscheln mit ihr sehr genossen. Die U3 verlief ohne weitere Probleme. Aufgrund ihres Blutschwamms am Auge bekamen wir einen Termin beim Hautarzt. Er sprach uns auf ihren sehr auffälligen Nystagmus an. In den ersten 6 Monaten kann sich ein Nystagmus wieder geben, aber wir sollten das bei einem Augenarzt abklären lassen. Die Augenärztin beruhigte uns erst einmal. Wir sollten uns in ein paar Wochen wieder vorstellen. Zwischenzeitlich war die U4 an der Reihe. Diesmal zeigten sich neurologische Auffälligkeiten. Leni hatte zu viele Neugeborenenreflexe, die sie schon längst hätte ablegen müssen. Sie reagierte sehr offensichtlich nicht auf optische Reize. Wir bekamen eine Einweisung ins Kinderkrankenhaus.

leni03Wir waren eine ganze Woche im Krankenhaus. Es wurden Blutproben genommen, ein EEG und VEP gemacht. Am zweiten Tag wurde ein MRT gemacht, dass leider nicht zu gebrauchen war, da Leni auf die Beruhigungsmittel nicht genug reagierte und einfach zu sehr zappelte. Die Ärzte wollten aber unbedingt dieses MRT. Die Oberärztin zog einen Humangenetiker zu Rate, das MRT wurde noch einmal wiederholt. Wir wurden am Freitag entlassen mit der Bitte am Montag die Oberärztin anzurufen. Ich spürte sie hatten etwas gefunden, aber keiner wollte uns etwas sagen. Es war ein schreckliches Wochenende. Am Montag wurde es noch schrecklicher. Die Ärztin wollte unbedingt ein persönliches Gespräch und teilte uns ihren Verdacht am Telefon nicht mit. Der nächste freie Termin war erst Mittwoch. Betteln, Tränen am Telefon, mein Mann rief ebenfalls die Ärztin noch einmal an. Auch er hatte keine Chance etwas Näheres zu erfahren. Bis Mittwoch waren die Stunden und Minuten so lang wie noch nie.

Die Ärztin redete sachlich und vermittelte uns die Diagnose: Verdacht auf Joubert-Syndrom. Was ist denn das? Noch nie gehört. Syndrom? Leni sieht doch gar nicht so aus? 
In dieser Sprechstunde wurden uns die Prognosen und das Erscheinungsbild der Krankheit mitgeteilt. Eigentlich war alles möglich oder auch nicht: Laufen, Sitzen, Sprechen. Vielleicht lernt sie es, vielleicht nicht. Auch Leber und Niere wurden angesprochen, ebenso mögliche Augenerkrankungen. Ist Leni doch blind? Alles prasselte auf uns ein. Zehn Minuten zuvor hatten wir noch nie von dem Syndrom gehört, geschweige denn uns explizite Gedanken über ein Leben mit einem schwerbehinderten Kind gemacht. Auf einmal hatten wir eins. Einfach so. Leni saß in ihrem Maxi-Cosi. Ein, für uns, ganz normales Baby. Und doch war sie keins mehr.